Angst

Dieser Blogeintrag ist nicht autismusspezifisch. Ich weiß nicht, ob NTs oder Asperger-Autisten oder Hochsensible etc. mehr Angst empfinden. Mir waren die Übergriffigkeiten der anderen Menschen schon immer unangenehm – Angst empfand ich davor nicht. Oft wünsche ich mir eine „Unsichtbarkeitsfunktion“, damit ich verschwinden kann und man mich nicht anspricht, denn das ist anstrengend – Angst empfinde ich davor nicht.

 

Dieser Eintrag ist in Ich-Form geschrieben, was nur bedeutet, dass ich aus meiner Perspektive schreibe. Es bedeutet nicht, dass andere diese Ängste nicht kennen oder ich mehr unter diesen Ängsten leide als andere.

Als Kind hatte ich mit vielen Ängsten in mir zu tun: Ich hatte Angst vor Krankenhäusern; vor Menschen, die sehr laut redeten oder gar schrien; vor Gott und seiner Macht; vor der Hölle; vor betrunkenen Menschen; vor Menschen, die schlagen und plötzlich ausflippen; vor den verzerrten Gesichtern der Menschen, wenn sie meinem Gesicht so nahe kamen; vor Gespenstern, Toten, Geistern; davor verlassen zu werden, weggegeben zu werden.

Ich kenne die Gründe dieser Ängste.

 

Schon früh lernte ich, mir das nicht anmerken zu lassen, wenn ich Angst empfand. Ich lernte, dass die mich umgebenden Menschen nicht sahen, was Ängste auslöste (weder bei mir, noch bei ihnen selbst); ich lernte, dass es nicht gut ist, darüber zu sprechen; ich lernte, dass es eine Schwäche ist, Angst zu empfinden. Und somit begann ich, im Geheimen Angst zu haben.

 

Sobald ich anfing, in eine Richtung zu gehen, die Ent-wicklung, Bildung, finanzielle Sicherheit, Freiheit, Zufriedenheit versprach, brach eine Angst über mich ein, dass ich wie gelähmt nichts mehr konnte oder diese Richtung selbst torpedierte, indem ich sie mir vermasselte.

Heute kenne ich auch diese logischen Zusammenhänge. Die Transaktionsanalyse erklärt dies auf sehr klare Weise.

 

Ich durfte das alles also nicht schaffen und darf es noch immer nicht.

 

Mein Weg geht aber in genau diese Richtung der Ent-wicklung. Das bedeutet somit auch: Überall „ist“ Angst. Überall lauert die Gefahr. Überall lauern die Verbote. Ich darf es nicht und sobald ich es versuche, rühre ich an der Todesangst.

 

Es ist so klar wie Kloßbrühe, dass daran aber kein Weg vorbei geht. Nur ist das, was manche Menschen raten genau der falsche Weg. Es ist der gleiche absonderliche Rat wie jener: „Es geht Dir schlecht? Dann unternimm doch mal was Nettes!“ Was genauso viel heißt wie: „Es geht Dir schlecht? Dann lenk Dich auf jeden Fall davon ab! Rühre nicht daran, befasse Dich nicht damit!“ Dann tun sie genau das, was Eltern tun, die nicht auf die Gefühlswelt ihrer Kinder eingehen: „Ach … das ist doch nix. Hab Dich nicht so!“ (Autisten bekommen das sehr häufig zu hören: „Das ist Dir zu laut? Stell Dich mal nicht so an! Bist DU aber empfindlich!“)

 

Mir wurde vermittelt, dass Angst Schwäche ist. Mir wurde vermittelt, dass niemand (wahrlich … niemand!) Verständnis haben wird, dass man mich verstoßen wird und verachten. So denn, wage ich es und mache es hier öffentlich:

 

Ich bin voller Angst. Wo ich auch gehe und stehe – gewiss ist, dass ich Angst empfinde. Manchmal ist sie unterschwellig da, manchmal lähmend und grausam. Manchmal verzweifle ich und glaube nicht mehr daran, dass ich meinen Kurs beibehalten kann. Ich drehe und wende mich und überall schreit mir Angst entgegen. Bis jetzt ist mir nur ein Mensch begegnet, dem dies auffiel.

 

Dieses Gefühl bringt mich nicht weiter, hilft mir nicht. Es blockiert mich. Und ich weiß es wohl, dass ich dieses Gefühl den Ereignissen zuordnen muss, die dazu gehören. Manche Menschen in meinem Umkreis haben sich dafür entschieden, ihre Innenwelt ruhen zu lassen wie einen Friedhof oder einen unberührten, starren See.

Das ist nicht mein Weg.

 

Vor Jahren schon wusste ich: „Ich muss da ran. Irgendwann.“

 

Verschleierung, Erstarrung, Abtötung, es nicht mehr versuchen, sich fügen und schweigen … diesen Pfad habe ich nicht eingeschlagen. Natürlich besteht immer die Option, zurückzugehen, doch noch zu entscheiden, nicht zu heilen und sich abzulenken.

 

Aber dieser Tag ist nicht heute.

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