In meinem Leben gibt es momentan zwei Bereiche, in denen ich menschliches Verhalten/Miteinander beobachten kann. Zum einen meine Arbeitssituation und zum anderen eine Art Weiterbildung.
Insbesondere meine Arbeitssituation gibt mir sehr viele Möglichkeiten, analytische Fragen zu stellen, vorrangig diese: Was ist da wieder los?
Das Verhalten, die Sprache, die versteckten Botschaften, die ungeschriebenen Regeln – das ist, wenn es sich ballt, derart komplex für mich, dass ich tägliche Analysearbeit leisten könnte. Leider wissen viele, wenn ich sie etwas dazu frage, selbst nicht, warum sie dieses und jenes gesagt haben, es läuft automatisch ab.
Deshalb mal ein (nicht ganz so ernst gemeintes aber so erlebtes) Beispiel, welches ich „Die Arbeitshose“ nennen möchte.
Ich arbeite in einem Bereich, in dem Arbeitskleidung Normalität ist. Jeder kann sich mit Arbeitskleidung eindecken, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen, das übernimmt die Firma. Deshalb beschloss ich, das zu tun. Ich bestellte mir eine Arbeitshose. Nochmal zur Erinnerung: Das ist keine Seltenheit, jeder kann das tun und einige besitzen Arbeitskleidung, ganz abgesehen davon, dass manches auch vorgeschrieben ist.
Ich ging also zur Arbeit mit Arbeitshose.
Und dann fing es an. Es fing so an, wie es fast immer anfängt.
Es wird kommentiert, als wäre es eine weltverändernde Neuheit. Dieser sagte etwas dazu, jener sagte etwas dazu, mehrere sagten etwas dazu. Es kam zu solchen Szenen:
Kollegin x zu mir: „Die sieht aber richtig gut aus.“
Ich: „Ja.“
Kollegin x zur Kollegin y: „Aber echt, oder?“
Kollegin y nickt.
Ich: „Okay, was liegt an?“ (Eine Frage, die auf die Arbeit abzielte)
Kollegin x zu Kollegin y: „Ich habe ja auch meine Arbeitshose von x, aber ich kann auch nur bestimmte Hosen tragen. Bei mir darf das in diesem Bereich (kommt in meine Nähe, ich weiche ein wenig zurück) nicht eng anliegen wegen meiner Krampfadern.“
Ich wende mich ab und schaue mir einen Auftrag an (das mit den Krampfadern hatte mir Kollegin x bereits mehrfach ausführlich erzählt).
Als dann kaum Rückmeldung vonseiten meiner Person und der Kollegin y kam, ging es dann endlich mal um Arbeit.
Aber das war natürlich nicht genug. Ich wurde nebenbei darauf angesprochen; die Kollegen sagten, ich sähe gut aus; in der Pause fragte man mich, ob die Hose bequem sei und so weiter …
Weshalb nehme ich dieses Beispiel?
Weil es einen großen Unterschied aufzeigt. Mir ist das vollkommen egal, ob jemand mit einer neuen Hose oder einen neuen Frisur ankommt (wenn ich das überhaupt bemerke). Es ist mir auch vollkommen gleichgültig, ob sich jemand für 1000 oder für 10.000 Euro ein neues Auto gekauft hat.
Dieses Verhalten habe ich bei unterschiedlichen Neuheiten beobachtet. Am schlimmsten ist es, wenn ich Urlaub hatte und danach wieder arbeiten gehe. Ach, Du meine Güte … dann kann ich mich schon darauf einstellen, dass mich jeder fragt, wie es denn gewesen sei, was ich gemacht habe, mit wem ich was gemacht habe usw. Ach ja, und nicht zu vergessen, dass dann lang und breit von deren eigenem Urlaub berichtet wird.
Jede Kleinigkeit wird besprochen und ich frage mich, welche Funktion das hat.
Am Anfang habe ich geglaubt, dass die Leute irgendwann aufhören mit mir zu reden, wenn ich nichts erwidere, langsam merke ich, dass es sie gar nicht interessiert, ob da eine Rückmeldung kommt.
Beispiel: „Der Friseurbesuch“
Kollegin x zu mir (übrigens die gleiche Kollegin, die auch Krampfadern hat): „Also Karin (Name von der Bloggerin geändert, obwohl nicht wirklich notwendig, da anonymer Blog) sieht ja aus mit ihren Haaren … die war ja auch seit Jahren nicht mehr zum Friseur. Die macht das selber.“
Ich: „Ja, mache ich auch.“
Kollegin x: „Nein, also ich gehe jede 5 Wochen zum Friseur. Aber ich lasse die da ja nicht waschen, sondern nur schneiden. Das ist ja Quatsch, wenn ich nach dem Friseur nach Hause fahre und mich eh dusche. Ich kann das nicht ab, wenn ich überall diese kleinen Haare habe … (Monolog geht weiter) … Du (ich bin gemeint), der Marco (Name auch geändert) hat gerade einen Urlaubsschein eingereicht. Für nächste Woche. (Man merkt vllt., dass sich während des Monologs das Thema geändert hat) Ich würde ja keinen Urlaub machen, wenn so wenig los ist, oder?“
Ich äußere nichts, da mir das nicht logisch erscheint und ich keine Lust darauf habe, sie darauf hinzuweisen. Das „Gespräch“ ging dann noch weiter und Marco wurde besprochen.
So, bis dahin ist alles „harmonisch“. Da ich immer wieder überlege, wie ich denn ohne Sozialmaske auf so etwas reagieren würde, wäre die Antwort folgende:
Kollegin x: „Nein, also ich gehe jede 5 Wochen zum Friseur …“
Ich: „Entschuldige bitte, aber das interessiert mich überhaupt nicht.“ (Und selbst das wäre noch sehr sozial verträglich ausgedrückt)
„Einfach“ so zu sein wie man ist, greift in den meisten sozialen Fällen nicht, denn wenn ich so wäre, wie ich bin, dann wäre ich schnell in einem Intrigenspiel drin.
Da die Kollegin zu 90 Prozent ihren Privatkram erzählt und nur 10 Prozent über Arbeit spricht, könnte ich diesen Satz „Entschuldige bitte, das interessiert mich überhaupt nicht“ den ganzen Tag verwenden.
Ich will mal irgendwo angestellt sein, wo es nur um Arbeit geht. Wenn ich meinen Lebenslauf durchgehe und mir die unterschiedlichen Arbeitsplätze vor Augen führe, ging es meistens nicht um Arbeit, sondern vor allen Dingen um soziale Aspekte: Wer wird akzeptiert und wer ist das Arschloch? Wer hat was zu sagen und wer muss sich fügen? Wer wird ausgeschlossen, wem kann man vertrauen, wer nimmt wem das Sandkasten-Förmchen weg? Wer darf Kritik üben, wer muss sich unterordnen, wer ist intelligent, wer ist dumm? Und so weiter … oder auch: Wer sieht gut aus und wer nicht? (Siehe Thema „Friseur“)
Das scheint wichtig zu sein, und wenn ich mir überlege, dass mir im Psychologie-Kurs gesagt wurde, dass Menschen zu 90 Prozent nonverbal und nur zu 10 Prozent verbal kommunizieren, dann bin ich immer wieder überrascht. Ich habe diesbezüglich noch nicht recherchiert aber der Verdacht liegt nahe, dass es auf der Arbeit auch vor allem um das Soziale und nicht um die Arbeit geht. Faszinierend.
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